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Fotokritik

 

Timm Starl
Flugzeuge und Durchlauferhitzer

Junkers Dessau
Fotografie und Werbegrafik 1892–1933
Hrsg. von Hans Georg Hiller von Gaertringen
Mit Beiträgen von Ralf Forster, Hans Georg Hiller von Gaertringen, Sonja Junkers, Stefan Siemer, Franziska Solte, Matthias Struch
Göttingen: Steidl, 2010
30,5 x 24,1 cm, 143 S., 115 Abb. in Farbe
Gebunden, Schutzumschlag
€ 45,-

1892 gründet Hugo Junkers (1859–1935) die Junkerswerke, in denen ab 1902 Warmwassergeräte und ab 1915 Flugzeuge produziert werden. Nach mäßigen Erfolgen im Ersten Weltkrieg stellt eine der Konstruktionen aus Leichtmetall in den 1920er Jahren mit 6.750 Metern einen Höhenweltrekord auf und wird zum meistverkauften Verkehrsflugzeug seiner Zeit. Im selben Jahrzehnt erfolgt die Errichtung einer Fabrik in der Sowjetunion, die jedoch nach wenigen Jahren vom Staat übernommen wird. Neben dem Flugzeugbau belebt die ins Angebot genommene Luftbildvermessung die Geschäfte, jedoch bleibt die Warmwassersparte das ökonomische Fundament des Konzerns. 1933 drängen die Nationalsozialisten den Firmengründer aus dem Unternehmen, das in Reichsbesitz übergeht.

 

Anonym: „Fünfzehn Arbeiter und Ingenieure auf dem Flugzeugflügel, Oktober 1915“ Anonym: „Fünfzehn Arbeiter und Ingenieure auf dem Flugzeugflügel, Oktober 1915“ (S. 47)

 

            Die Ausführungen des vorliegenden Buches beschränken sich auf die Lebenszeit von Hugo Junkers und stellen die Entwicklung im Bereich der Luftfahrt heraus. Zudem erfolgt eine Konzentration auf die 20er Jahre, wobei das „Junkers-Flugzeug“ als „das Symbol einer neuen Zeit“ (7) propagiert wird. Das Fotomaterial wird aus den etwa 6.000 Exemplaren bezogen, die sich vom ehemaligen Firmenarchivs erhalten haben und sich im Deutschen Museum in München sowie in verstreutem Familienbesitz befinden. Der Standort der für die Abbildungen verwendeten Vorlagen wird durchwegs nicht verraten, was analog für die Werbeanzeigen gilt, von denen in der Regel nicht vermerkt ist, in welchen Publikationen sie veröffentlicht worden sind. Sieht man von den biografischen Darlegungen zum Werdegang von Junkers ab, die Matthias Sturch beigesteuert hat, zeichnen sich auch die Texte durch erhebliche Oberflächlichkeit aus.
            So findet außer dem holländischen Flugzeugkonstrukteur Anthony Fokker, mit dem Junkers während des Krieges kurze Zeit kooperieren musste, kein Konkurrent Erwähnung, und auch auf die Marktsituation und die Entwicklung des Verkehrswesens wird nicht eingegangen. Damit existieren der Protagonist, sein Werk und die Öffentlichkeitsarbeit lediglich für sich und in einem unwirklichen Territorium. Die „Luftbilder der 1920er Jahre“ – so der Untertitel eines Textes (71) – werden weitgehend an den bekannten Buchveröffentlichungen von Eugen Diesel, Eduard Spelterini und anderen verfolgt und mit kurzen Hinweisen auf Aktivitäten und Äußerungen prominenter Figuren von Nadar bis László Moholy-Nagy, von Siegfried Kracauer bis Ernst Jünger, von Oskar Messter bis Le Corbusier garniert. Den Wahrnehmungsformen infolge der Praxis der Luftbildfotografie im Ersten Weltkrieg und davor werden keine neuen Perspektiven abgewonnen, sondern der Autor Stefan Siemer begnügt sich mit den gängigen Zuweisungen, die das Neue Sehen jener Jahre bereits zur Genüge erfahren hat. Die abschließende Bemerkung: „Die Geschichte des Luftbilds ist damit keineswegs abgeschlossen“ (78) wirkt geradezu lächerlich, nachdem nicht einmal ansatzweise mit einer ernstzunehmenden Darstellung begonnen worden ist. Diese müsste nämlich Fragen wie die fotografische Abstraktion, die Militarisierung des Blicks, das Eindringen von Linien und Schrift ins Bild und anderes mehr aufgreifen und nach ihrer Relevanz für das Bildschaffen untersuchen.

 

Anonym: „Senkrechtaufnahme der Gleisanlagen des Leipziger Hauptbahnhofes“, 1926 Anonym: „Anzeige für den Flugzeugmotor JUMO 4“, 1931
Anonym: „Senkrechtaufnahme der Gleisanlagen des Leipziger Hauptbahnhofes“, 1926 (S. 85) Anonym: „Anzeige für den Flugzeugmotor JUMO 4“, 1931 (S. 106)

 

             Kaum anders verhält es sich mit den weiteren Beiträgen zu den Themen „Fotografie bei Junkers 1892–1932“, verfasst vom Herausgeber, „Fotografie und Film in der Junkers-Werbung“, wofür Ralf Forster zeichnet, sowie „Das Raumdesign der Junkers-Flugzeuge zwischen 1919 und 1937“, mit dem sich Franziska Solte beschäftigt. Sie alle zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Gegenstand jeweils isolieren, grob umreißen und nicht über ihn hinausschauen. Etwas aufmerksamer gibt sich der letzte Aufsatz, in dem Sonja Junkers dem Engagement ihres Urgroßvaters in der Sowjetunion zwischen 1922 und 1926 nachgeht und zwei grafische Arbeiten von Alexander Rodtschenko vorstellt. Diese sollten für den Erwerb von Aktien der Fluggesellschaft Dobrolet, die mit Junkers-Maschinen ausgerüstet war, werben.

 

Alexander Rodtschenko: „Aufruf zum Erwerb von Aktien der sowjetischen Fluggesellschaft Dobrolet“, 1923 Alexander Rodtschenko: „Aufruf zum Erwerb von Aktien der sowjetischen Fluggesellschaft Dobrolet“, 1923 (S. 133)

 

            Statt dem interessanten Komplex Aviatik und Fotografie am Beispiel eines Flugzeugbauers nachzugehen, wurde eine Art Firmenschrift vorgelegt, in der es vorwiegend darum geht, das Unternehmen ins beste Licht zu rücken und attraktive Bilder zum Besten zu geben. Entsprechend tritt der Band gewichtig auf: auf dickem Papier gedruckt und die Abbildungen mit reichlich Lack zum Glänzen gebracht.

Bei der Abbildung handelt es sich um eine Wiedergabe aus der besprochenen Veröffentlichung.

April 2011

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© Timm Starl 2011

PDF - 275kb

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