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Fotokritik

 

Timm Starl
Ein „Monat der Fotografie“ in Wien

 

Einladungskarte zur Eröffnung von „eyes on. Monat der Fotografie in Wien
Einladungskarte zur Eröffnung von „eyes on. Monat der Fotografie in Wien“ am 28. Oktober 2010 im MUSA Museum auf Abruf, unter Verwendung des Panoramabildes von Marko Zink, „90690005_heuschrecken“, 2010

 

Nach zwei Jahren fand der vierte Europäische Monat der Fotografie wiederum in sieben Metropolen statt, und zum dritten Mal wurde ein kleinster gemeinsamer Nenner gefunden. Die unter dem Titel „Mutations III. Public Images – Private Views“ konzipierte Schau (Museum auf Abruf, 29.10.2010 – 8.1.2011) versammelte Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus diversen europäischen Ländern. Indem sich zunehmend das Private als Öffentliches auf Plattformen und in Blogs entäußert und das öffentliche Bild über die Neuen Medien den privaten Lebensraum beherrscht, sind die jeweiligen Konturen und Differenzen häufig nicht mehr auszumachen. Das Netz fungiert als jener prädestinierte Raum, in dem die Herkunft und Bestimmung von Bildern aufgehoben erscheinen, und so wurden die zehn Arbeiten zeitgemäß als virtuelle angeboten (www.emop-mutations.net). Fünf davon haben Gunda Achleitner und Berthold Ecker für Wien ausgewählt und im Museum auf Abruf präsentiert.
          Unabhängig vom jeweiligen Inhalt und der künstlerischen oder dokumentarischen Umsetzung vermittelt die Darbietung zuallererst, dass die Zusammenführung allzu vieler Medien unter einem Dach die Zugänglichkeit arg behindert. Werden Bilder in Prints, Projektionen und in einem Fall auch noch als Zeitung vorgestellt und dem Besucher zudem Geräte angeboten, damit er den Weg ins Netz und zu weiterem Material finden kann, dann strapaziert dieser Mix einigermaßen. Das Betrachten von Fotografien an der Wand, das Durchblättern einer Publikation, das Verfolgen eines Videos oder einer Animation, das Eintippen von Suchbegriffen und das Betätigen der Maus bedeuten bei der Sichtung eine mehrfache Änderung des Tempos und die wechselnde Beanspruchung von Augen, Ohren und Händen. Der Besucher hat sich gegenüber einer künstlerischen Arbeit beziehungsweise Teilen daraus jeweils neu zu positionieren, jedoch nicht nach dessen Maßgabe, sondern nach jener des Mediums, in dem die Hervorbringungen auftreten. Nicht selten drängt das mediale Angebot seinen Gegenstand in den Hintergrund, und man erhält weniger einen stringenten Eindruck von den dargebotenen Bildern und Texten als von den medialen Aspekten seiner Vermittlung.

 

Hubert Blanz: „public tracks“, 04, 2010 Hubert Blanz: „public tracks“, 04, 2010,
C-Print, Diasec auf Dibond, 147 x 189 cm
© Hubert Blanz

 

           Herausheben unter den fünf Positionen möchte ich den Entwurf einer Art Kartografie individueller Kommunikation, dem Hubert Blanz (*1969) den Titel „public tracks“ gegeben hat. Aus den Millionen Facebook-Nutzern hat er einen 33jährigen Profi-Snowboarder ausgewählt, der zum damaligen Zeitpunkt 1.483 „Freunde“ zählte. Die Namen jener aneinandergereiht, deren Freunde und Freundesfreunde miteinander in Verbindung standen, und sie mit Zitaten aus ihren Mitteilungen verbunden, ergibt ein abstraktes Gebilde, das nur mehr den Austausch an sich nachzeichnet bei gleichzeitiger Aufgabe von Inhalten, die in der starken Verkleinerung und den Ballungen nicht mehr zu identifizieren sind. Das Netz aus Sätzen und Worten, ihrer Bedeutungen enthoben, charakterisiert die öffentliche Präsenz von Personen, die ihrer individuellen Merkmale verlustig gegangen und als Einzelne im Gestrüpp einer Plattform nicht mehr auszumachen sind.
            Auf besondere Weise könnte das Aufzeigen der Vielzahl an Spuren, die zur Unkenntlichkeit führen, auch für die Ausrichtung der Wiener Ausgabe des Monats der Fotografie stehen. Über 170 Ausstellungen würden stattfinden, verkündete Thomas Licek, der organisatorische Leiter der Unternehmung, am 27. Oktober 2010 im Rahmen eines Pressegesprächs, und im Pariser „Mois de la Photo“ seien es nur 55 Veranstaltungen. Die große Zahl verdanke sich nicht zuletzt der Tatsache, dass alle eingereichten Projekte realisiert werden konnten, also keine Auswahl getroffen worden sei, was den demokratischen Charakter von „eyes on“, wie sich der Wiener Monat neuerdings nennt, verdeutliche. Bedenkt man jedoch, dass sicherlich 95% der beteiligten Institutionen nicht oder ganz selten Fotografie präsentieren und sich in erster Linie beteiligen, weil sie in den Genuss kostenloser Werbung gelangen, so offenbart sich nicht nur ein seltsame Verwechslung von Beliebigkeit mit Demokratie, sondern auch wie wenig qualitative Kriterien für eine Teilnahme mitgespielt haben. Entsprechend schwer fiel es – wollte man nicht allein den bekannten Namen nachjagen –, sich in der Mixtur zurechtzufinden und eine Auswahl zu treffen. Zumal auch weniger als die Hälfte der Veranstaltungen im Hauptkatalog mit Beschreibung, Abbildungen und Termin- und Adressangaben aufgenommen worden sind.

 

Jana Wisniewski: „eyesonmeeyesonyou“
Jana Wisniewski: „eyesonmeeyesonyou“, Ausschnitt aus:
www.e-motion.artbook.com/eyesonmeeyesonyou.htm

 

           Das Thema von „Mutations III“ aufgreifend, den Titel vereinnahmend, doch letztlich konsequent umgesetzt, tritt eine Bildfolge auf, die ausschließlich im Netz zu besichtigen ist. „eyesonmeeyesonyou“, so die Künstlerin Jana Wisniewski (*1945) „ist wie eine Plakatwand angelegt und entspricht den Kriterien der Kunst im öffentlichen Raum: permanent zugänglich, ohne Barriere. Der Inhalt ist ironisch [...]“ Aber er ist auch ernst gemeint. Schnappschüssen von prominenten Figuren aus Politik und Kunst, von Ereignissen und öffentlichen Plätzen stehen Porträts von sich und Aufnahmen von früheren Arrangements gegenüber. Sämtliche Bilder entstammen der eigenen Produktion und wurden um Sprechblasen und Parolen ergänzt. Das öffentliche Leben als Bild erweist sich als eine Folge von Nichtigkeiten, denen erst Legenden oder Kommentare Bedeutung verleihen können, wobei – wie bei Fotografien immer – jede Art von Zuweisungen möglich ist. Die private Welt erwächst aus den Blicken in die Vergangenheit, in denen gleichermaßen Sehnsüchte und Hoffnungen aufgehoben sind. Die Bilder von sich und eigenen Werken blieben jedoch unkommentiert, wodurch das Publikum auf Distanz gehalten wird – so hat sich das Private immer schon gegen die Zudringlichkeiten der Öffentlichkeit geschützt. Die Zwiesprache von Wisniewski mit ihrer Person und den Gegebenheiten von gestern wird von einem traurigen Unterton begleitet, birgt sie doch – wie jeder Blick zurück – die Gewissheiten eines Verlusts.

 

Michael Wolschlager: Blick in die Ausstellung „Sissi Farassat. SIOSEH forever“ im Museum auf Abruf (MUSA), November 2010.
Michael Wolschlager: Blick in die Ausstellung „Sissi Farassat. SIOSEH forever“ im Museum auf Abruf (MUSA), November 2010.

 

         Um ein letztes Mal auf die „Mutations III“ zurückzukommen: Die Zusammenstellung wurde von der in denselben Räumen des Museums auf Abruf gleichzeitig stattfindenden Ausstellung „Sissi Farassat. SIOSEH forever“ (29.10.2010 – 8.1.2011) ein wenig an den Rand gedrängt. Das lag zum einen an der bereits erwähnten Vielfalt an Medien und Formaten, die zu einer etwas unruhig wirkenden Darstellung führte. Vor allem aber haben die beiden kuratorisch tätigen Katharina Boesch und Andreas Krištof für die Vorführung von SIOSEH eine blendende Idee gehabt. Die kleinformatigen Hefte des Magazins wurden ab dem ersten Heft jeweils mit Mode- und Reisestrecken, experimentellen Arbeiten und Selbstinszenierungen der Herausgeberin (*1969), gelegentlich mit Film Stills und Teilen aus Comics illustriert. Das Projekt lief über zehn Jahre und war auf 33 Ausgaben angelegt, deren letzte zur Eröffnung der Ausstellung erschien. Um die einzelnen Hefte ungestört und in der originalen Größe durchsehen zu können, wurde für jede Nummer eine eigene Koje etwa in Kopfhöhe installiert, wo auf einem Monitor in etwa den Maßen 10,5 x 14,5 cm Umschlag und Doppelseiten von SIOSEH zur Vorführung gelangten.
         Die exklusive Präsentation jedes Heftes für jeweils nur einen Besucher spiegelt auch die limitierte Auflage von 200 Exemplaren je Nummer wieder, was ja eine begrenzte Teilhabe zur Folge gehabt hatte. Zugleich stellt sich diese Form der Vorstellung gegen den in den letzten drei Jahrzehnten aufkommenden Hang zu Abzügen und Projektionen größtmöglichen Ausmaßes. Damit werden die Bilder dem Publikum weniger nahe gebracht als in gewisser Weise entzogen. Denn mit dem notwendigen Zurücktreten, das ein großes Format bedingt, vergrößert sich oft der Gesichtskreis und immer mehr Teile des Raumes treten in diesen und erleichtern nicht gerade die Fokussierung und Konzentration auf das jeweilige Werk.

 

Anonym, jeweils mehrere Autoren und Autorinnen, 2010
Anonym, jeweils mehrere Autoren und Autorinnen, 2010, Leporello, Ausschnitt (aus: The Great Escape, Ausstellungskatalog Künstlerhaus Wien, hrsg. von Peter Bogner, Wien 2010)

 

          Noch ein anderes Projekt opponiert gegen die gängigen Sichtweisen, wobei im Titel „The Great Escape“ bereits der Hinweis enthalten ist, dass es um eine Befreiung geht. Gemeint haben die Kuratorinnen Brigitte Konyen und Ilse Chlan die künstlichen Bilder, die uns von den alltäglichen realen Ansichten zu den phantastischen der Sehnsüchte und Träume zu führen vermögen. Doch die zugrundeliegende Idee von Konyen verlangte sowohl von den Produzenten wie den Betrachtern ein Aufgeben hehrer Positionen. Zunächst war es an den Künstlern und Künstlerinnen aus neun Ländern, sich gleichsam von der Autorenschaft freizumachen und Arbeiten anonym ins Netz zu stellen. Aus diesem dafür eingerichteten „Virtual Studio“ konnten sich dieselben Personen Bilder – ausgenommen die eigenen – entnehmen und nach Gutdünken überarbeiten. In einem dritten Schritt erfolgte ein weiterer Zugriff, wobei diesmal sämtliche Werke zur Verfügung standen, also auch die eigenen und inzwischen durch Eingriffe veränderten Bilder, und eine nochmalige Bearbeitung stattfinden konnte. Von den über 300 Produkten wurden 125 ausgedruckt und ohne Nennung der Namen der Beteiligten ausgestellt (k/haus Galerie, 5. – 28.11.2010). Die Vorgehensweise problematisiert nicht nur die Frage der Urheberschaft, sondern auch jene des Originalbegriffs, die sich in Zeiten allseitiger Vernetzung ständig stellen. Wir hantieren mit Bildern, deren Herkunft oft unbestimmt und denen nicht anzumerken ist, von welcher ursprünglichen Fassung sie sich möglicherweise ableiten und welche Veränderungen sie erfahren haben.

 

Zbigniew Kosc:: Eröffnung der Ausstellung „The Great Escape“ am 4. November 2010 im Künstlerhaus
Zbigniew Kosc:: Eröffnung der Ausstellung „The Great Escape“ am 4. November 2010 im Künstlerhaus

 

          Aber auch die Besucher der Ausstellung im Künstlerhaus konnten nicht wie gewohnt einen Blick auf eine beigegebene Bildlegende werfen, um sich zu orientieren, wer der Urheber gewesen sei, welcher Titel gewählt worden ist und wann die Arbeit entstanden war. Zudem hatten sämtliche Exponate dasselbe Format von 20 x 30 cm, und die ungerahmten Ausdrucke wurden lückenlos aneinandergereiht. Die Besucher mussten sich also ohne irgend geartete Anhaltspunkte auf jedes Bild einstellen und sich seiner Rhetorik ausliefern. Dazu kommt, dass nicht wenige Arbeiten surreale Momente aufwiesen und bei manchen sicherlich Irritationen verursachten. Es bedurfte also eines naiven Blicks, der sich von allen Konventionen der üblichen Bildbetrachtung freimacht und jeder Kreation ihren besonderen Wert zusprechen muss. Diese Fähigkeit haben wir jedoch längst verloren, und die Ausstellung verlangt nicht weniger, als dass wir sie uns wieder aneignen sollten. Wer demgegenüber den raschen Konsum bevorzugte, konnte sich einer Projektion hingeben, die Chlan aus sämtlichen über 300 Produkten arrangiert hatte und von denen jeweils zwei nebeneinander großformatig an der Wand vorüber zogen. Nicht allein wegen ihrer Anforderungen, die an Teilnehmer und Betrachter gestellt wurden, und der schlüssigen Inszenierung kann „The Great Escape“ als das zentrale Ereignis des Monats der Fotografie in Wien angesehen werden, sondern vor allem auch weil relevante Fragen zur heutigen Bildproduktion und -rezeption aufgeworfen wurden.

 

Marko Zink: „92010016_giraffe“ aus der Serie „tragödien“, 2010
Marko Zink: „92010016_giraffe“ aus der Serie „tragödien“, 2010 (aus der Einladungskarte der Galerie)

 

          Auch der Zugang zu den „tragödien. Ein interdisziplinäres Fotoprojekt“ (Galerie Michaela Stock, 5.11.2010 – 8.1.2011) von Marko Zink (*1975) gestaltet sich nicht einfach. Die erste Begegnung lässt annehmen, die kleinen Gesichter und Figuren in den 15 Panoramabildern im Format 60 x 140 cm resultierten aus digitalen Montagen. Doch es handelt sich um analoge Fotografie von Landschaften, in denen manchmal Relikte menschlicher Eingriffe zu sehen sind und sich seltsame Wesen herumtreiben: ein Kopf im Sonnenblumenfeld, ein maskierter nackter Mann, der über eine Wiese eilt oder neben Sträuchern posiert. Als Modell figurierte immer der Künstler, der sein Gesicht hinter Tiermasken verbarg. Doch all dies erschließt sich erst, wenn man Zink entlang der Exponate durch den Ausstellungsraum und seine Erweiterung im Keller begleitet.
            Seine Erläuterungen beginnen beim antiken Theater der Griechen, in dem die Darsteller mit Masken aufgetreten sind, kommen zu Friedrich Dürrenmatt und dessen Katastrophenszenario in dem Theaterstück Die Physiker von 1961 und enden bei einer Toninstallation mit der Stimme Elfriede Jelineks, die zu Zinks „tragödien“ einen Text verfasst hat. „Sind das Tiere?“ fragt sie und antwortet: „Nein, das sind wire [sic][...|“ Wenn an dieser Stelle andersartige Worte in die Sprache eingehen, mutet es an, als ob sich die Gestalten, halb Mensch, halb Tier, artikulieren wollten. Die durch Bearbeitung mit hellen Tönen ausgestatteten Fotografien sind also beladen mit allerlei Mythen, Hinweisen auf antike Darstellungsformen, überlieferten und aktuellen Ängsten und nicht zuletzt auf Mutmaßungen zum Verhältnis des Menschen zu sich, zur Gesellschaft und zur Natur. Die Bilder sind Verstecke, die ihre Inhalte mehr andeuten als preisgeben. Wer sich auf sie einlassen möchte, sollte sich von Marko Zink führen lassen, was dieser oft und gerne macht (marko.zink@gmx.net).

 

Pilo Pichler: o.T., aus der Serie „Beyond a Source“, #1, 2006 Pilo Pichler: o.T., aus der Serie „Beyond a Source“, #1, 2006, Pigmentprint auf Barytpapier, 24 x 30 cm

 

            Einer Eröffnung besonderer Art konnte man beiwohnen, als Pilo Pichler (*1962) eine Serie mit 49 Vulva-Aufnahmen vorstellte (Galerie Kribusz, 28.10. – 25.11.2010). Die Malerin und Atelierinhaberin Szofia Monika Kribusz, betätigt sich auch als Tantra-Lehrerin und forderte im Zuge ihrer Ausführungen das Publikum auf, auf dem Boden Platz zu nehmen, weil dann keiner auf andere herabblicken könne und keine zu jemandem aufblicken müsse. In ihrem ausführlichen Exkurs in die tantraistischen Lebensweisheiten erwähnte sie zwar, das unsere Sprache für das weibliche Genital nur abwertende, medizinische oder infantilisierende Begriffe kenne, verließ das Thema aber rasch wieder, ohne etwas zu den ausgestellten Bildern zu sagen.
            Pichler legte seine Motive als Mann und Fotograf offen, bekannte, dass ihn das weibliche Geschlecht magisch anziehe, dankte den Frauen, die sich als Modelle zur Verfügung gestellt hatten, freute sich, dass einige anwesend seien, verwies auf die aufliegenden „Poems“, die aus Gesprächen mit den Teilnehmerinnen resultierten und von denen drei als Ausdrucke vorlagen. Erwähnt wurde zudem, dass er „der Distanzlosigkeit des Objektivs [...] mit dem Fehlen von Farbe und viel Dunkelheit auf den Prints“ (zitiert aus einem Pressetext) begegnet sei. Dass die lichtarmen Inszenierungen und der braune Ton die Motive in die dunklen Sphären des Geheimnisvollen transferierten, war wohl den meisten Besucherinnen und Besuchern bewusst. Das Unausgesprochene fand aber gleichwohl seinen Raum, denn – wie schon innerhalb der im Mai 2010 in Salzburg stattgefundenen Präsentation –, wurden neben Pichlers Fotografien 500 kleine Tonfiguren nackter Frauenkörper in unterschiedlichen Haltungen von Sigrid Kofler (*1960) gezeigt. So korrespondierten auf stille Weise die beiden Werkgruppen, die flächige Nahaufnahme mit den winzigen Figuren, die männliche Sicht mit einer weiblichen Darstellungsform, die natürlichen Formen mit den künstlich hergestellten.

 

Heidi Harsieber: „Schwimmen“, aus der Serie „Sportfotos“, 2008 Heidi Harsieber: „Schwimmen“, aus der Serie „Sportfotos“, 2008, C-Print, 80 x 120 cm (aus: eyes on. Monat der Fotografie Wien. November 2010, Ausstellungskatalog, hrsg. von Vladimir und Estragon, Salzburg: Fotohof edition, 2010, S. 45)

 

            Im Reich der konzeptuellen Fotografie, in das seit einiger Zeit immer mehr Jünger der Fotokunst Einlass suchen, wirken manch konventionell arbeitende Lichtbildkünstler wie bunte Vögel. Zu ihnen mag man Heidi Harsieber (*1948) zählen, die mit „Sportfotos“ einem Genre huldigt, das sich gewöhnlich Berufsfotografen, die für die Presse tätig sind, widmen. Allerdings findet die Fotografin ihre Motive nicht in den Höhepunkten von Veranstaltungen, nicht in den spektakulären Paraden der Torleute, im befreiten Lachen der Sieger und den verzweifelten Mienen der Gestürzten, nicht im Zielfoto, mit dem die Differenzen von Hundertstelsekunden anschaulich gemacht werden sollen. Vielmehr beobachtet sie das Geschehen am Rande, begleitet mit Vorliebe die Akteure beim Training, sieht Blessuren aus der Nähe und entdeckt Brust- und Rückenschwimmer gleichzeitig im Becken ihre Bahnen ziehen. Gezeigt wurde eine Auswahl von 15 Farbaufnahmen, bei denen das Wesentliche in die Bildmitte gesetzt worden ist und in aller Deutlichkeit vorgeführt wird. Besonderes Augenmerk widmete Harsieber den Ausschnitten beziehungsweise den Formaten der Exponate, was ihre Präsentation nicht einfach gemacht hat (Buchhandlung Lia Wolf, 5. – 25.11.2010). Weil nicht genügend Platz zur Verfügung stand, mussten die verschieden großen Bilder allzu eng neben- und übereinander gehängt werden, wodurch ein Moment der Unruhe den Blick beeinträchtigt – analog dem Büchertisch im Nebenraum, auf dem sich zahlreiche Neuerscheinungen kunterbunt stapeln und dieserart dem einzelnen Titel meist nur flüchtige Aufmerksamkeit zuteil wird.
            Hanns Otte (*1955) tanzt – könnte man sagen – auf beiden Podien, als er zwei Projekte vorstellte (R2 Galerie, 15. – 27.11.2010). Für die Serie „Standpunkte“ forderte er Bekannte und Personen, die seinem Aufruf gefolgt waren, auf, sich mit ihrem Auto, Lieferwagen, Oldtimer oder Motorrad ablichten zu lassen. Da stehen sie also neben oder vor ihren Fahrzeugen, einen Arm auf das Dach gestützt, locker angelehnt oder stramm in einem Meter Entfernung. Die zehn Farbaufnahmen, 2009 in Dresden und Wien entstanden, erzählen wenig über die posierenden Zeitgenossen. Ob Museumsreferent, Künstlerin oder Diplomingenieur, ihre Posituren liefern keinerlei Hinweise auf das Verhältnis zu den Gefährten, das für die meisten offensichtlich bloß als Nutzgegenstand angesehen wird. Untersuchungen haben zwar festgestellt, dass die Beziehungen Mensch/Auto in körpersprachlichem Verhalten seinen Ausdruck findet, doch scheint dieser Befund nur bei Urlaubsfotos am Beginn allseitiger Motorisierung nach dem Zweiten Weltkrieg zuzutreffen.

 

Hanns Otte: Anita Barilits, Fotografin, Wien 2009 Hanns Otte: Ottakringer Brauerei, Wien, 7.11.2008
Hanns Otte: Anita Barilits, Fotografin, Wien 2009 Hanns Otte: Ottakringer Brauerei, Wien, 7.11.2008

 

            Am 7. November 2008 hat Otte einen ganzen Tag lang in der Ottakringer Brauerei in Wien fotografiert. Entstanden sind 160 Aufnahmen von Laderampen, Lieferfahrzeugen, Containern, dem Gelände und Teilen der Gebäude. Auf den 19 gezeigten Prints sind Menschen nicht präsent, die Leere wird mittels kräftiger Farben teilweise kaschiert. Die beiden Werkgruppen passen gleichwohl gut in eine gemeinsame Ausstellung. Es verbindet sie die Nüchternheit des Registrierens von Produktionsstätten und Fabrikhöfen, Fahrzeugen und deren Besitzern, ohne dass mehr bekundet wird als die Tatsache ihrer Existenz. Andererseits beherrscht eine „angespannte Stille“ (Petra Noll am 15. November 2010 in der Eröffnungsrede) die Szenerien. Man wartet gewissermaßen darauf, dass die Bilder zu erzählen beginnen, aber es ist nur ein leises Raunen zu vernehmen, wie es unseren Alltag ständig begleitet.

 

Gregor Schmoll: „Duchamp“, aus einer Serie von 60 Polaroids, 2008 Man Ray: „Tonsur“ (Marcel Duchamp), 1919
Gregor Schmoll: „Duchamp“, aus einer Serie von 60 Polaroids, 2008, 8,5 x 10,8 cm (aus: eyes on. Monat der Fotografie Wien. November 2010, Ausstellungskatalog, hrsg. von Vladimir und Estragon, Salzburg: Fotohof edition, 2010, S. 127) Man Ray: „Tonsur“ (Marcel Duchamp), 1919, 28,3 x 21,2 cm (aus: Die Surrealisten, hrsg. von Arturo Schwarz, Ausstellungskatalog Schirn Kunsthalle Frankfurt, o.O.: Nuovo edizione Gabriele Mazzotta, Frankfurt am Main: Schirn Kunsthalle, 1989, S. 114)

 

            Einen schönen Einstieg in die fotogeschichtliche Thematik bot eine Ausstellung im Künstlerhaus (k/haus Salon, 5. – 31.11.2010), obwohl sie sich keines historischen Materials bediente. Gregor Schmoll (*1970) führte 55 Stücke „Aus der Privatsammlung“ vor, die in den Jahren 1996 bis 2010 entstanden waren und Reminiszenzen an prominente Werke der Kunst- und Fotografiegeschichte bildeten. Zu sehen waren Nachstellungen im doppelten Wortsinn: Indem die Vorbilder motivisch nachempfunden und in eine neue Fasson gebracht worden sind, ist der Fotokünstler ihren Eigenarten nachgegangen. Die „Privatsammlung“ besteht aus Polaroids, womit ebenso ein auslaufendes Modell der Bildherstellung herausgestellt, wie mit den Unikaten auf die Einzigartigkeit von Entwürfen als abgewandelte Konstrukte verwiesen wurde. Das Projekt vermag die Kunst- und Fototheoretiker ebenso anzusprechen wie die Liebhaber zeitgenössischer Fotografie. Die einen entdeckten beispielsweise die Nähe zu „A Scene in a Library“ von William Henry Fox Talbot aus den 1840er Jahren oder zu der mit „La Femme“ betitelten und 1920 entstandenen Aufnahme eines Schneebesens von Man Ray oder einen Hinterkopf à la Duchamp. Andere stießen auf eine Galerie aller möglichen Figuren und Gegenstände, miniaturhaft vorgestellt, wie es einer privaten Sicht auf Alltägliches entspricht.

 

C. v. Ettingshausen, A. Pokorny: „Aconicum Napellus“, um 1860 Peter M. Kubelka: „alchemilla/Frauenmantel“, 2008
C. v. Ettingshausen, A. Pokorny: „Aconicum Napellus“, um 1860, Naturselbstdruck, 40 x 30 cm (aus: eyes on. Monat der Fotografie Wien. November 2010, Ausstellungskatalog, hrsg. von Vladimir und Estragon, Salzburg: Fotohof edition, 2010, S. 117) Peter M. Kubelka: „alchemilla/Frauenmantel“, 2008, Digitalfotografie, 30 x 21 cm (aus: eyes on. Monat der Fotografie Wien. November 2010, Ausstellungskatalog, hrsg. von Vladimir und Estragon, Salzburg: Fotohof edition, 2010, S. 116)

 

            Auch der Fotograf Peter M. Kubelka (*1963) rekurriert auf früheres Bildschaffen und setzte eigene Schöpfungen dagegen (Fachbereichsbibliothek Pharmazie und Ernährungswissenschaften, Universität Wien, 4. – 30.11.2010). Unter dem Titel „Typographia naturalis“ wurden zunächst 19 Naturselbstdrucke von Constantin von Ettingshausen (1826–1897) und Alois Pokorny (1826–1886) aus den 1850er/60er Jahren vorgestellt. Diese entstanden, indem Pflanzen auf einen mit Ölfarbe bestrichenen glatten Untergrund gelegt und angedrückt wurden, worauf die erhöhten Partien Farbe übernahmen; presste man anschließend die Pflanze auf leeres Papier, hinterließ sie einen Abdruck. Die beiden österreichischen Botaniker schufen gemeinsam mehrere Hundert solcher Umdrucke und veröffentlichten sie zwischen 1855 und 1873 als bildlichen Beitrag zur heimischen Flora.
            Diesen einfärbigen und flach wirkenden Wiedergaben wurden vier Fotografien nachgeordnet: digitale Aufnahmen aus einer hochauflösenden Mittelformatkamera, die eine geringfügige Nachbearbeitung zur Heraushebung von Farben und Kontrasten erfuhren. Die 2008 entstandenen Prints auf Bütten sind nicht unähnlich den aquarellierten botanischen Zeichnungen früherer Jahrhunderte, verschaffen aber ihren Gegenständen mehr Körperlichkeit. Des weiteren wurde auch in dieser Schau dem Polaroid-Verfahren mit sieben Bildern im Format 4 x 5 und 8 x 10 Inch ein „bescheidenes Denkmal“ gesetzt, indem jeweils die „Pflanze auf einem Einzelblatt-Polaroidfilm belichtet [...] und das belichtete Negativ sofort in der Dunkelkammer auf ausgewähltes Papier umgedruckt“ worden ist, wie ein beigegebener Text vermerkte. So entstanden ansprechende dekorative Bilder, deren Hängung in einem Bibliotheksbereich zwischen den Tischen mit an Computern arbeitenden Studenten das Vergnügen einer entsprechenden Betrachtung erheblich schmälerte.
            Der Bauunternehmer und Gutsbesitzer Robert von Stockert (1848–1918) beschäftigte sich als Amateur mit Fotografie und gehörte zu den Mitgliedern des renommierten Wiener Camera-Clubs. Neben Landschaften fotografierte er Stillleben, wobei mit zahlreichen Obst-, Gemüse- und Blumenarrangements ein Motiv verfolgt wurde, das kein anderer aufgriff. Die hübsch zueinander gefügten Sträuße, Kränze und Gestecke weisen biedermeierliche Züge auf, die bunten Stillleben orientieren sich an Vorbildern der niederländischen Malerei, und auch die Art mancher Darstellung der pflanzlichen Motive muss für die Jahre um 1900 eigentlich als nicht zeitgemäß gelten. Andererseits entsprachen solche Rückgriffe den piktorialistischen Ansprüchen einer kunstfotografischen Gilde, die sich häufig an den bildenden Künsten früherer Epochen orientierte und gerne mit Farben arbeitete, sei es mittels mehrgängiger Einfärbungsprozesse, sei in der Anwendung der ersten Farbfotoverfahren. Stockerts Arbeiten fanden ihre Öffentlichkeit in den Publikationen des Clubs und auf zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland.

 

Robert von Stockert: Stillleben mit Gemüse, um 1900
Robert von Stockert: Stillleben mit Gemüse, um 1900, Dreifarbenlichtdruck von J. Löwy, 23 x 28 cm (aus: eyes on. Monat der Fotografie Wien. November 2010, Ausstellungskatalog, hrsg. von Vladimir und Estragon, Salzburg: Fotohof edition, 2010, S. 251)

 

            Die in Mappen, Leporellos oder als einzelne Abzüge in verschiedenen Formaten sowie als Drucke verbreiteten Bilder haben sich nur in geringem Maße erhalten und sind auch Kunst- und Fotohistorikern kaum bekannt. Simon Weber-Unger ist im Handel auf einen reichhaltigen Nachlass mit teilweise privatem Bildmaterial gestoßen und hat dieses für eine Präsentation aufbereitet (Wissenschaftliches Kabinett Simon Weber-Unger, 20.11. – 4.12.2010). Ein Text in der von ihm herausgegebenen Buchpublikation macht mit einem weitgehend unbekannten Werk eigenartiger Prägung bekannt.
            Die Fotografie übernahm seit ihrer Erfindung im Rahmen ihrer Möglichkeiten der Aufzeichnung von sichtbaren Erscheinungen auch die Vermittlung der Künste. Es waren zunächst Malerei, Bildhauerei und Architektur, die allesamt statische Objekte hervorbrachten und insofern Ähnlichkeit mit dem Bildmedium aufwiesen. Im 20. Jahrhundert kamen neue populäre Ausdrucksweisen – wie Film und Radio – auf, die sich gleichfalls der Fotografie zu Werbezwecken bedienten, obwohl diese deren Fähigkeiten nicht beherrschte: weder die Wiedergabe von Bewegung noch jene von Sprache und Musik. Als Betätigungsfelder fungierten die illustrierte Presse, Film- und Rundfunkzeitschriften, Programmhefte und die Auslagen der Kinos, wo Porträts der Stars, Szenenbilder und andere Aufnahmen, die das Thema zu illustrieren vermochten, aufgenommen wurden. Im Bereich des Films gehörten zu den Produktionsteams eigene Standfotografen, die im Rahmen der Dreharbeiten Szenen nachstellen ließen oder die Akteure porträtierten. So wurde gewissermaßen die filmische Handlung angehalten, um der Fotografie ihr Bild zu liefern, mit dem sie zum Besuch des Films locken sollte. Diesen sogenannten „Film Stills“ war eine Ausstellung gewidmet (Galerie Wolfrum, 21.10. – 22.11.2010), für die Roland Fischer-Briand und Walter Moser als Kuratoren über 90 Originalabzüge aus dem Fundus des Österreichischen Filmmuseums, das etwa 350.000 Exemplare in seiner Sammlung verwahrt, ausgewählt haben.

 

Horst von Harbou: Still zu dem Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, Regie: Fritz Lang, 1931 Horst von Harbou: Still zu dem Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, Regie: Fritz Lang, 1931 (Einladungskarte des Österreichischen Filmmuseums)

 

            Nun wäre es ein Leichtes gewesen, sich auf die berühmten Protagonisten oder bekannten Filme zu beschränken, was die Recherchearbeit erheblich erleichtert hätte. Doch man wählte ein Motiv als Thema, nämlich den Schatten, und verfolgte diesbezügliche fotografische Inszenierungsformen von 1919 bis 1979, wobei auf prominente Namen und Streifen beileibe nicht verzichtet werden musste. Mit einer Strukturierung nach Arten und Funktionen konnte deutlich gemacht werden, wie mittels Schattenpartien so unterschiedliche Aspekte wie Spannung, Ornamentik, Verdopplung, Betonung sowie narrative und abstrakte Motive ins Bild eingebracht werden konnten. Die Exponate mussten aus Platz- und Gestaltungsgründen auf Legenden verzichten, das Katalogheft bildet jedoch die Exponate in der Reihenfolge der Präsentation ab und lieferte die notwendigen Identifizierungen und Erläuterungen. Die Fotografen der Film Stills sind vielfach nicht bekannt – ein Desiderat der Filmhistoriografie –, und so wurden – wie in der Filmszene üblich – zwar Filmtitel, Erscheinungsjahr und Regisseur, nicht aber die Darsteller angeführt. Obwohl manch älteres Semester doch gerne darüber informiert worden wäre, dass es Peter Lorre gewesen ist, der seinen Schatten auf das Plakat mit dem Schriftzug „Mörder“ geworfen hatte.

 

Otto Steinert: „Pont Neuf, Paris 1949“, Vintage Silver print, 39,8 x 26,2 cm (aus: eyes on. Monat der Fotografie Wien. November 2010, Ausstellungskatalog, hrsg. von Vladimir und Estragon, Salzburg: Fotohof edition, 2010, S. 87)

 

            Eine der wenigen nennenswerten Stätten in Österreich, die mit historischen Fotografien ihr Geschäft machen, ist die Galerie Johannes Faber. Sie offerierte 38 Arbeiten von Otto Steinert (1915–1978), dem führenden Vertreter der „Subjektiven Fotografie“ der 1950er/60er Jahre (18.9. – 4.12.2010). Darunter befanden sich nahezu alle bekannten Bilder, sämtliche als Vintage prints zu Preisen zwischen 4.500 und 55.000 Euro. Bemerkenswert war der hohe Anteil an frühen Werken aus den 1940er Jahren, die nur selten zu sehen sind und vielfach auch nicht in den zahlreichen Publikationen zum Œuvre des Fotografen und Fotolehrers auftauchen.
            Die große Spanne zwischen dieser Präsentation und einer weiteren im Künstlerhaus lag ebenso im Atmosphärischen wie in den Preislagen. Die „ARTmART“ (16. – 21.11.2010) könnte man als eine Art Basar mit einfacher Preisstruktur bezeichnen: Jedes Exemplar kostete 80 Euro. Die nach 2007 und 2008 zum dritten Mal veranstaltete Verkaufsausstellung versammelte etwa 245 Künstlerinnen und Künstler, die rund 2.500 Stücke feilboten: Gemaltes und Gezeichnetes, Geklebtes und Fotografiertes, Kleinformatiges, meist ohne Rahmen, dicht nebeneinander dargeboten. Wie auf Märkten dieser Art, bei denen vorwiegend jüngere Künstlerinnen und Künstler mitmachen, konnte man durchaus auf interessante Kreationen stoßen und vor allem auch Gespräche mit den Produzenten und Produzentinnen führen, von denen – jedenfalls am ersten Tag ­– viele vor ihren Werken auf Kundschaft warteten. Die verkauften Bilder wurden markiert und blieben bis zum Ende des letzten Tages hängen.

 

Emil Mayer: Vor dem Briefmarkengeschäft, Wien, um 1910 Otto Croy: Modeauslage in der Wiener Kärntner Straße, 1946
Emil Mayer: Vor dem Briefmarkengeschäft, Wien, um 1910 (aus: Susanne Breuss, Window Shopping. Eine Fotogeschichte des Schaufensters, Katalog zur 368. Sonderausstellung des Wien Museums, Wien: Metroverlag, 2010, S. 68) Otto Croy: Modeauslage in der Wiener Kärntner Straße, 1946 (aus: Susanne Breuss, Window Shopping. Eine Fotogeschichte des Schaufensters, Katalog zur 368. Sonderausstellung des Wien Museums, Wien: Metroverlag, 2010, S. 43)

 

            Eine so kleine wie feine Schau öffnete erst gegen Ende des Monats der Fotografie und lieferte Rück- und Ausblicke auf ein Thema, das man durchaus als ein umfassend mediales bezeichnen kann. Denn „Eine Fotogeschichte des Schaufensters“ (Wien Museum, 25.11.2010 – 13.3.2011) erschöpft sich nicht in der bildlichen Verfolgung des Objekts in Wien und durch die Zeitläufte, sondern reflektiert – ob vorgetragen oder unbemerkt – jeweils das Sehen seiner Zeit auf mehrfache Weise. Der Blick des Fotografen und der Fotografin fokussiert auf den Gegenstand samt seiner Lage innerhalb der Hausfront, begrenzt ihn mit dem Ausschnitt, sucht das Innere der Auslage, aber auch das Geschehen davor. Der Passant erfasst mit flüchtigem Blick das Gebotene im Vorbeigehen oder bleibt stehen und registriert die ausgestellten Waren. Das Schaufenster gibt manchmal die Blicke zurück, wenn sich das Gegenüber spiegelt, und es repräsentiert in gewisser Weise den Blick der Geschäftsinhaber auf ihre Kundschaft, ausgedrückt im Arrangement der Dekorateure.
            Eigentlich ist die Ausstellung gar nicht so klein, beherbergt sie doch 174 Exponate, die weitgehend aus der hauseigenen Sammlung stammen, allerdings in einem der weniger geräumigen Säle versammelt sind. Die etwa 125 Abzüge aus der Zeit von 1880 bis 2010 sind ergänzt um neun grafische Darstellungen, 16 fotografisch illustrierte Postkarten sowie vier Alben einer Firma für Unterwäsche und Strümpfe, in denen die Auslagengestaltung in ihren Filialen über mehrere Jahre festgehalten sind, und nicht zuletzt um Prospekte und Bücher mit Musterauslagen und Modellen von Schaufensterpuppen. Kurzgefasste und informative Texte zu einzelnen Abschnitten mit jeweils gut platziertem Bildmaterial strukturieren das Thema, die begleitende Katalogpublikation der Kuratorin Susanne Breuss begnügt sich nicht mit den fotografischen Aspekten, sondern bindet diese an kulturgeschichtliche Überlegungen. Das Schaufenster wird als Raum der Zirkulation von Waren im urbanen Gefüge und zugleich des Austausches von Blicken verstanden, die nicht direkt aufeinandertreffen, sondern sich über Angebot und Konsum vermitteln. Die Veranstaltung muss als selten geglückter Beitrag zur Aufarbeitung einer historischen Erscheinung, ihrer visuellen Erfassung und bildlichen Wiedergabe angesehen werden – kurz gesagt: sie sollte angesehen werden!

 

Michael Frankenstein: Buchhandlung in der Kärntner Straße 28, um 1880
Michael Frankenstein: Buchhandlung in der Kärntner Straße 28, um 1880 (aus: Susanne Breuss, Window Shopping. Eine Fotogeschichte des Schaufensters, Katalog zur 368. Sonderausstellung des Wien Museums, Wien: Metroverlag, 2010, S. 47) Trude Lukacsek: Kleiderhaus Verena in der Wiener Laxenburgerstraße, 1998, Lambda Print (aus: Susanne Breuss, Window Shopping. Eine Fotogeschichte des Schaufensters, Katalog zur 368. Sonderausstellung des Wien Museums, Wien: Metroverlag, 2010, S. 88)

 

Kataloge

Susanne Breuss
Window Shopping
Eine Fotogeschichte des Schaufensters
Katalog zur 368. Sonderausstellung des Wien Museums
Wien: Metroverlag, 2010
21,5 x 16,5 cm, 94 Abb. in SW und Farbe
Broschiert
€ 15,-

eyes on
Monat der Fotografie Wien. November 2010
Ausstellungskatalog
Hrsg. von Vladimir und Estragon
Salzburg: Fotohof edition, 2010
30 x 23,2 cm, 267 (+1) S., ca. 570 Abb. in Farbe
Broschiert
€ 19,-

The Great Escape
Ausstellungskatalog Künstlerhaus Wien
Hrsg. von Peter Bogner
Wien 2010
10 x 14,2 cm, 8 Bl., Leporello, 65 Abb. in Farbe
Geheftet
€ 5,-
Beziehbar bei: Künstlerhaus Wien, Karlsplatz 5, A-1010 Wien

Mutations III
Public Images – Private Views
Luxembourg: Café-Creme, 2010
27 x 21 cm, 50 S., 113 Abb. in Farbe
Broschiert
€ 10,-
Beziehbar bei: Museum auf Abruf (MUSA), Felderstraße 6-8, 1010 Wien, musa@musa.at

Shadowplay
Film Stills aus der Sammlung des Österreichischen Filmmuseums
Ausstellungskatalog Österreichisches Filmmuseum
Wien 2010
28 x 19,9 cm, 10 Bl., 95 SW-Abb.
Geheftet
€ 1,-

SIOSEH#33
Hrsg. Sissi Farassat
Wien: Selbstverlag, 2010
Schuber, 11,2 x 7,5 x 3,2 cm mit 100 losen Bl., 10,5 x 7,4 cm, 99 Abb. in Farbe und SW
€ 30,-
Beziehbar bei: sfarassat@hotmail.com

Mila Moschik,
„Robert von Stockert. Der Gärtner im Club der Amateur-Photographen“ (S. 52-69, 39 Abb.)
in:
Simon Weber-Unger (Hrsg.)
Der naturwissenschaftliche Blick
Fotografie, Zeichnung und Modell im 19. Jahrhundert
Wien: Wissenschaftliches Kabinett Simon Weber-Unger, 2009
26,5 x 20,5 cm, 82 S., 1 Bl., 124 Abb. in Farbe
Gebunden
€ 20,- zzgl. Porto
beziehbar bei: office@wisskab.com

Jana Wisniewski
eyesonmeeyesonyou
in: www.e-motion.artbook.com/eyesonmeeyesonyou.htm
2010

Marko Zink, „tragödien“ (S. 27-41, 8 Abb.)
Elfriede Jelinek, „im wald: tragödien“ (S-40-41, deutsch/englisch)
in:
Marko Zink
blinde Flecken
Werkkatalog mit Texten von Matthias Herrmann, Johanna Hofleitner, Elfriede Jelinek, Anne Katrin Feßler, Walter Moser
Wien: Luftschacht, 2010
28 x 21 cm, 72 S., 41 Abb. in Farbe
Broschiert
€ 15,-   

Dezember 2010

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© Timm Starl 2010

PDF - 1,4mb

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