58
  Profil
  Ausstellungen
  Bücher
  Themenhefte
  Texte
  Bibliografien
  Projekte
  Fotokritik
  Links
mail
   

 

 

Fotokritik

 

Timm Starl
BildGedichte
Zur Poesie in Bild und Text

Karin Mack
Räume des Selbst
Hrsg. FLUSS – NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst, Wolkersdorf
Begleitbuch zur Ausstellung vom 5. bis 26. September 2010
Salzburg: Fotohof Edition, 2010
25,5 x 21 cm, 79 (+1) S., 53 Abb. in S/W und Farbe
Broschiert
€ 19,-

Heinz Cibulka
Saft aus Sprache
Anschriften – Notenbild-Verbarien – Freie Reihungen – Texturen 1970–1990
Hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Michael Ponstingl
St. Pölten: Literaturedition Niederösterreich, 2010
24,5  x 18,8 cm, 248 S., 66. Abb. in Farbe
Gebunden, Schutzumschlag
€ 22,-

Die poetischen Kreationen von Karin Mack verlangen eine Würdigung ihresgleichen. Wie literarische Kompositionen nur mit Worten erschlossen und eingeordnet werden können, sollte über manche Bilder mit Bildern befunden werden. Dies ist dann ohne weiteres möglich, wenn Vorbilder oder Nachfolger vorhanden sind und gegenübergestellt werden können, sodass eine Chronologie der Entsprechungen und Adaptionen die gewählten oder unbeabsichtigten Beziehungen offenkundig macht. Aber ist eine angemessene Wertung von Bildern auch dann möglich, wenn sie nicht von einem Kommentar begleitet wird? Kann eine Fotografie etwas über eine andere ohne Worte sagen? Wie beispielsweise Laut- und visuelle Gedichte sprachlich nur schwer zu beschreiben sind, sehr wohl aber mittels beispielhaften Zitierens. Ich nehme recht willkürlich als Exempel zwei 1982 veröffentlichte Gedichte von Ernst Jandl aus demselben Zyklus:

eine fahne für österreich alphabet einer macht mit 3 unbekannten
rot
ich weiß
rot
u.s.w.
u.s.w.
u.s.w.
. . .
u.s.w.
x.
y.
z.
 

Die beiden Gedichte lassen sowohl die Spannweite visueller Poesie erkennen, wie sie die Strukturen von Sprachbildern anschaulich machen. Sie führen zu einer wesentlich anderen Lektüre, als würde lediglich eines für sich stehen.

 

Karin Mack: ohne Titel, aus der Serie „Weisse Schatten auf schwarzem Schnee“, 1982 Karin Mack: ohne Titel, aus der Serie „Weisse Schatten auf schwarzem Schnee“, 1982, Negativprint (aus: Karin Mack, Räume des Selbst, Ausstellungskatalog FLUSS –NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst, Wolkersdorf, Salzburg: Fotohof Edition, 2010, S. 8)

 

          Was lässt sich zu der Aufnahme mit den beiden zusammengelegten Gartenstühlen sagen, die bereits den Katalog einer Ausstellung der Fotokünstlerin von 1982 eingeleitet hat? Unter dem Titel Weisse Schatten auf schwarzem Schnee versammelte die damalige Publikation durchwegs Negativprints. Der Baum auf dem Bild ist nicht von Licht durchflutet, der Boden nicht hell, und die originalen Stühle sind weiß lackiert gewesen. Worin liegt jedoch der Zauber dieser Arbeit? Es ist nicht das Abstrakte, nicht das Arrangement, nicht der gewählte Ausschnitt, auch nicht das Auftreten einer alltäglichen Erscheinung. Vielmehr liegt die Besonderheit dieses Bildes in der Stille, die es ausstrahlt, und der gleichzeitigen Vehemenz, mit der der Betrachter – zunächst ganz ein wenig irritiert ­– in eine andere Welt geführt wird.

 

Karin Mack: ohne Titel, aus der Serie „Weisse Schatten auf schwarzem Schnee“, 1982 Josef Sudek: „Fenster meines Ateliers“, 1944
Karin Mack: ohne Titel, aus der Serie „Weisse Schatten auf schwarzem Schnee“, 1982, Negativprint (aus: Karin Mack, Räume des Selbst, Ausstellungskatalog FLUSS –NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst, Wolkersdorf, Salzburg: Fotohof Edition, 2010, S. 8) Josef Sudek: „Fenster meines Ateliers“, 1944 (aus: Josef Sudek. Das stille Leben der Dinge. Fotografien von 1940–1970 aus der Moravská Galerie, Brno, Ausstellungskatalog Kunstmuseum Wolfsburg, Wolfsburg 1998, S. 30)

 

           Doch ergibt sich ein solcher Befund nicht genauso oder wird vielleicht noch deutlicher, wenn dem Bild eine Aufnahme des tschechischen Fotografen Josef Sudek aus dem Jahr 1944 gegenübergestellt wird? Als wären es Vexierbilder, wendet man in einem Fall die negative Ansicht ins Positive, während im anderen Fall der Blick die regennassen Partien auf dem Glas des Atelierfensters umgeht, um die dahinter liegenden Objekte – Baum, Zaun, Hausfassade – zu erfassen. Da wie dort animiert die seltsam helle Tönung dazu, gegen den ersten Eindruck zu opponieren und die Sinne neu auszurichten.

 

Karin Mack: ohne Titel, aus der „Serie Schatten- und Spiegelporträts“, 1977 – 2010 Karin Mack: ohne Titel- und Jahresangabe
Karin Mack: ohne Titel, aus der „Serie Schatten- und Spiegelporträts“, 1977 – 2010 (aus: Karin Mack, Räume des Selbst, Ausstellungskatalog FLUSS –NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst, Wolkersdorf, Salzburg: Fotohof Edition, 2010, S. 35) Karin Mack: ohne Titel- und Jahresangabe (aus: Karin Mack, Räume des Selbst, Ausstellungskatalog FLUSS –NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst, Wolkersdorf, Salzburg: Fotohof Edition, 2010, S. 44)

 

           Es handelt sich um Bild-im-Bild-Entwürfe, die Mack bevorzugt, was erst recht den Rezensenten veranlassen könnte, mit Bildern zu argumentieren. Damit würde eine Facette der künstlerischen Arbeitsweise in die Auseinandersetzung mit dem Œuvre einfließen. Mit der Konfrontation der diversen Spielarten, die die Fotokünstlerin aufgreift, tritt ihr Ansinnen zutage, dem Wesen des Selbst, der Natur und des Mediums bildlich nachzugehen. Dabei richtet sie die Kamera gegen einen Spiegel, werden Abzüge miteinander kombiniert, Schattenwürfe aufgezeichnet, die Augen gegen den Himmel und auf das Wasser gerichtet, wird manchmal die unendliche Weite und ein anderes Mal das Ephemere gesucht. Es geht immer auch um Konstitutive, die der Fotografie eingeschrieben sind: das gleichzeitige Zeigen und Verbergen, das Beleuchten und Verdunkeln, das Nachweisen und Täuschen. Bild im Bild bedeutet, das eine aufzunehmen und das andere im selben Moment auszuschließen.

 

Karin Mack: „Wellen“, 1985 Karin Mack: „Koordinaten #7, 2009
Karin Mack: „Wellen“, 1985 (aus: Karin Mack, Räume des Selbst, Ausstellungskatalog FLUSS –NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst, Wolkersdorf, Salzburg: Fotohof Edition, 2010, S. 13) Karin Mack: „Koordinaten #7, 2009 (aus: Karin Mack, Räume des Selbst, Ausstellungskatalog FLUSS –NÖ Initiative für Foto- und Medienkunst, Wolkersdorf, Salzburg: Fotohof Edition, 2010, S. 38)

 

          Die Beobachtungen, die Mack anstellt, sind Dialoge mit sich selbst, zu denen die Bildobjekte das Material für eine Auseinandersetzung liefern, die erst in den Serien und Zusammenstellungen ihren erweiterten Ausdruck findet. Die Einzelansichten stehen für die Worte – Ausrufe, Namen, Titel –, die zu Sätzen gereiht und geformt werden. Was gesagt werden soll, verbirgt sich zwischen den Bildern und erschließt sich erst in der aufmerksamen Betrachtung. So entsteht oft der Eindruck – insbesondere wenn Selbstporträts verwendet werden –, dass die Künstlerin Fragen stellt und sich zugleich von den Realien abwendet und im Träumerischen Zuflucht sucht: im Traum von sich selbst.
          Karin Mack (Jahrgang 1940) kennt einen etwa gleichaltrigen Kollegen, der wie sie regelmäßig Selbstbefragungen veranstaltet. Allerdings gelten die diesbezüglichen Hinwendungen von Heinz Cibulka (Jahrgang 1943) der eigenen künstlerischen Position, derer er sich immer wieder prüfend vergewissert, indem die Produktionsprozesse in den zahlreichen Publikationen von ihm und über ihn zum Thema gemacht werden. Wogegen Mack ihre Nachforschungen bildlich artikuliert. Sie trennt nicht zwischen ihrem Sein und ihrem Auftreten, zwischen ihrem Bild von sich und den Porträts, die sie nach außen trägt. In den Bildfolgen und den Tableaus treffen sich das Subjekt als Suchendes mit dem Objekt ihrer Neugierde.

 

Heinz Cibulka: aus der Serie „Gemischter Satz“, 1972–1982
Heinz Cibulka: aus der Serie „Gemischter Satz“, 1972–1982
Heinz Cibulka: aus der Serie „Gemischter Satz“, 1972–1982 (aus: Heinz Cibulka, Fotografische Arbeiten 1969–1983, Wien: Christian Brandstätter, 1982, S. 118)

 

          Cibulka sondert das Biografische von seinen fotografischen und lyrischen Hervorbringungen. Entsprechend taucht er in den Bildern und Gedichten als Modell nicht auf. Die als Viererblöcke, später in digitalen Arrangements aus mehreren Bildern dargebotenen „Bildgedichte“ sowie die beigegebenen Gedichtzeilen haben dem Charakter von Bruchstücken, die dem Publikum zur Einsichtnahme vorgelegt werden. Die Machart unterscheidet sich nicht wesentlich, ob Cibulka einzelne Aufnahmen kombiniert oder Gedankensplitter zueinander stellt. Betrachtern und Lesern bleibt es überlassen, Verbindungen zwischen den Bildern und Worten herzustellen, Übereinstimmungen und Kontraste zu finden, in Assoziationsketten und -sprüngen Anschauungen zu verfolgen.

 

Heinz Cibulka, Arbeitspartitur zu „Linz wie Licht“, 1990 Heinz Cibulka, Arbeitspartitur zu „Linz wie Licht“, 1990 (aus: Heinz Cibulka, Saft aus Sprache. Anschriften – Notenbild-Verbarien – Freie Reihungen – Texturen 1970–1990, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Michael Ponstingl, St. Pölten: Literaturedition Niederösterreich, 2010, S. 179)

 

            Insofern kommt die Rezeption der Herstellungsweise nahe, denn auch Cibulka geht bei der Bildauswahl nicht analytisch vor, sucht in den Gedichten nicht die Glätte des Reims oder die schlüssige Abhandlung eines Gedanken, auch nicht eine durchgängige Melodie. Sondern es werden kurze Sätze voll sinnlicher Lust an Benennungen von alltäglichen Erscheinungen nach- und zueinander gestellt, manchmal durchbrochen von Aufzählungen und damit einen Tempowechsel vollziehend, der den Gedichten Dynamik verleiht. Die Vorliebe für deftige Ausdrücke, einfallsreiche Wortschöpfungen, pralle Beschreibungen und simple Zuweisungen geht Hans in Hand mit einer ähnlich strukturierten Auswahl von Motiven und deren fotografischer Inszenierung. Es handelt sich in Bild und Text um eine Lyrik, die in der Nachfolge der „Wiener Gruppe“ – am ehesten den Schöpfungen Gerhard Rühms nahestehend – und des Aktionismus der 1960er und 70er Jahre steht, dem Cibulka als Darsteller in Veranstaltungen von Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler verbunden war.
            Am 4. September 2010 begegnen sich die beiden Protagonisten im Schloss Wolkersdorf, als eine Werkschau mit etwa 50 Exponaten von Karin Mack eröffnet wird. Heinz Cibulka war 1989 Gründer und langjähriger Leiter der Initiative FLUSS, die das Begleitbuch zur Ausstellung herausgegeben hat. Nur wenige Wochen später erscheint der vorzüglich edierte Band mit Texten von Cibulka und einer so klugen wie aufschlussreichen Analyse von Michael Ponstingl. Die beiden Publikationen lassen sich nicht vergleichen, und nicht allein weil der Schwerpunkt auf unterschiedlichen Medien liegt. Doch gemeinsam ist ihnen die Beschäftigung mit einem besonderen Teil des Kunstschaffens in Österreich und der Herausstellung zweier bedeutender Vertreter einer konzeptuellen Fotografie, die sich in Bild und Text der Poesie verschrieben hat.

Erwähnte Literatur
Ernst Jandl, Der künstliche Baum, Neuwied am Rhein, Berlin: Luchterhand, 1970 (Sammlung Luchterhand, 9), S. 19 und 20.
Karin Mack, Weisse Schatten auf schwarzem Schnee, Ausstellungskatalog Fotogalerie Wien, hrsg. von Josef Wais, Wien 1982, o.S.

Wenn nicht anders erwähnt, sind die Abbildungen Wiedergaben aus den besprochenen Veröffentlichungen.

November 2010

................................................................................................................................................................

© Timm Starl 2010

PDF - 543kb

nach oben

zurück
kombinationen.at Impressum