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Fotokritik

 

Timm Starl
Kraut und Rüben
Betrifft: Fotografie
Nora Schoeller
21 Reportagen
Interviews von Ruth Horak
hrsg. von Alfred Fogarassy
(Fotohof Edition, Bd. 101)
Salzburg: Fotohof Edition, 2008
29 x 24,1 cm, 207 (+1) S., 307 Abb. in Farbe
Broschiert, Schutzumschlag
€ 29,-

Es gibt Bild- und Textautoren, die manches offen lassen, einiges bloß andeuten, das eine oder andere Geheimnis für sich behalten. Ich mag solche Bücher, denn nicht alles muss bis ins Letzte dargelegt, analysiert und interpretiert werden. Erst die nicht beantworteten Fragen regen zu den Höhenflügen der Phantasie an, führen zu Assoziationsketten ohne Ziel, zu Überlegungen, die in elliptischen Bahnen immer wiederkehren, ein wenig abgewandelt, aber dem Rätsel doch nicht näher kommend.
           Nun aber liegt eine Veröffentlichung vor mir, zu der ich wenig zu sagen weiß. Ist es ein gutes Buch oder ein schlechtes Buch? Ist es sowohl als auch? Ich finde keinen Standpunkt, keine Anhaltspunkte, deren Verbindung ein Gerüst ergeben könnte, also einen Raum der Reflexion, der Orientierung. Wohin ich schaue, der Augenschein bietet keinen Halt, kein Blick wird zurückgeworfen. Was bildlich und sprachlich konstruiert wird, verflüchtigt sich in der nächsten Ansicht. Hier scheint jedes nur auf sich selbst bezogen, und alles ist ohne Zusammenhang.
           Einen äußeren Zusammenhalt liefern: die Deckeln des Buches; ein Vortitel, der ein Betreff formuliert; eine Fotografin, von der die Buchidee stammt und die 20 Fotokünstlerinnen und Fotokünstler sowie ein Paar fotografiert hat; eine Kunsthistorikerin, die mit 20 Personen sowie mit ihren Eltern Gespräche oder Interviews führt, und eine Einführung, die zusammenfasst, was später im einzelnen nachzulesen ist. Als Ordnungskriterium dient das Alphabet, nach dem die 21 Reportagen entsprechend den Namen der Protagonisten gereiht sind. Ansonsten ist offensichtlich versucht worden, möglichst uneinheitliche Bilder zu entwerfen, indem jede Person anders bildlich inszeniert und mit anderen Fragen konfrontiert wird. Dieser Ansatz muss der Fotografin wie der Interviewerin nach einiger Zeit suspekt erschienen sein, wie in der Einführung von Monika Faber angedeutet wird, denn die eine folgt gelegentlich auch klassischen Porträtinszenierungen und die andere stellt einigen ihrer Gesprächspartner gleich lautende Fragen.
           Nach welcher Maßgabe Nora Schoeller die Protagonisten ausgewählt hat, wird nicht verraten. Ein repräsentativer Querschnitt der österreichischen Fotoszene wird nicht angestrebt gewesen sein, denn wichtige Positionen – wie Helmut und Johanna Kandl, Sissa Micheli oder Lisl Ponger – fehlen. Es kann sich also nur um solche handeln, die von der Fotografin besonders geschätzt werden. Oder die sich bereit erklärt haben, sich fotografieren und interviewen zu lassen. Oder was verbindet einen greisen Pressefotografen, der seit Jahren sein Archiv vermarktet, mehrere alt gewordene Dokumentaristen, die mit Wohlgefallen auf ihre Werke der 1970er und 80er Jahre blicken, ehemalige und noch tätige Berufsfotografinnen, die in den Bereichen Denkmalschutz, Mode und Architektur zu Hause waren beziehungsweise sind, Lehrende an Akademien und Hochschulen, die abstrakt arbeiten, und einige jüngere Semester mit diversen konzeptuellen Ansätzen? Etwaige Vorlieben sind nicht zu erkennen, weil jedem Modell anders begegnet wird. Einige werden bei der Arbeit beobachtet, bei anderen in die Archivschränke geschaut, manche sind beim Lesen, Essen oder Trinken festgehalten, die eine blättert ein Albumbuch durch, andere blicken bedeutungsschwer in die Kamera, einer kehrt die Galerie auf.

 

Nora Schoeller: Ruth Horak im Gespräch mit Eva Schlegel in deren Atelier, Dezember 2007 Nora Schoeller: Ruth Horak im Gespräch mit Eva Schlegel in deren Atelier, Dezember 2007 (aus dem besprochenen Band, S. 144)

 

           Selbstverständlich, muss man sagen, jeder ist ein anderer und jede eine andere, aber deren Individualität erschließt sich nicht, wenn sie aus je anderem Winkel gesehen werde. Dasselbe gilt insbesondere für die Fragen, die Ruth Horak gestellt hat. Die spezifische Disposition des Einzelnen lässt sich nicht ausmachen, wenn die Reaktion auf unterschiedliche Situationen festgestellt wird. Es gibt keine Differenz zwischen Äpfeln und Autos. Bei einer solchen Vorgehensweise erfährt man in erster Linie etwas über die Fragestellerin, nämlich wie gut sie ihr Gegenüber kennt, inwieweit sie sich vorbereitet hat und welche Fragen ihr angemessen erschienen sind. Ruth Horak ist eine profunde Kennerin der zeitgenössischen österreichischen Fotokultur, kennt Gott und die Welt, eröffnet nahezu jede zweite Ausstellung der jungen fotokünstlerischen Garde in Wien, Salzburg und Graz. Aber eben diese Verbundenheit gerät ihr zum Nachteil: Wenn man den Personen zu nahe ist, fehlt die Distanz, die erst die wesentlichen Aspekte aufkommen lässt.
            Natürlich werden auch gescheite Fragen gestellt, denn Ruth Horak ist eine belesene Zeitgenossin. Und ebenso finden sich da und dort höchst interessante Äußerungen zur Fotografie, denn manche Fotografinnen und Fotografen, Künstler und Künstlerinnen haben etwas zu sagen. Wem es nicht zuviel Mühe macht, diese seltenen Passagen aufzuspüren, mag sich das Buch besorgen. Oder wen interessiert, wie die eine oder der andere aus der Nähe aussieht und wie sein oder ihr Atelier ausgestattet ist. Am meisten profitiert von der Lektüre, wer etwas über Ruth Horak erfahren möchte. Mich allerdings hat das Durcheinander irritiert: Man erfährt von jedem und jeder mehr oder weniger, aber nichts, was sich ins Verhältnis zueinander setzen ließe. Zwar sind die Akteure voll im Bild – fotografisch gesehen –, bleiben aber darüber hinaus seltsam konturlos. Hat man alle Texte gelesen, alle Fotos angesehen und das Buch zugeschlagen, bleibt keine Erinnerung. Oder doch, eine einzige: Wie der große Selbstdarsteller Paul Albert Leitner bei der Aufnahmeserie selbst Regie zu führen scheint und auch im Gespräch seinem Konzept als Darsteller von Paul Albert Leitner treu bleibt.

März 2009

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© Timm Starl 2009

PDF - 110kb

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