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Fotokritik

Timm Starl
Periphere Ansichten

Ausstellung
„Elfriede Mejchar. Fotografien von den Rändern Wiens“
Wien, Wien Museum: 23. Oktober 2008 – 25. Januar 2009

Katalog
Elfriede Mejchar
Fotografien von den Rändern Wiens

hrsg. von Lisa Wögenstein
Ausstellungskatalog Wien Museum
(Fotohof edition Bd. 112)
Salzburg: Fotohof edition, 2008
27 x 21,2 cm, 75 (+1) S., 56 teils farbige Abb.
Broschiert
€ 17,- an der Museumskasse
Gebunden
€ 25,- im Buchhandel

Seit den 1970er Jahren werden Hoch- und Populärkultur zunehmend nicht mehr als Gegensatzpaare, ihr Verhältnis nicht mehr als ein hierarchisches gesehen. Zugleich hat sich die Betrachtung der Stadt gewandelt, indem Zentrum und Peripherie als sich verschränkende urbane Räume erkannt werden, die sich wechselseitig konstitutieren und bestimmen. Der Blick muss sich nicht zunächst auf die Innenstadt richten, um von dort aus die Vorstädte zu erreichen. Valie Export hat mit einer 1973 veröffentlichten Arbeit diese andere Orientierung bildlich zum Ausdruck gebracht. Auf einem Plan von Wien wurde eine gerade Linie quer durch die Stadtmitte gezogen und diese Strecke fotografisch verfolgt. Die Durchquerung nach einer geometrischen Vorgabe läuft den üblichen Erkundungen von attraktiven Plätzen und Gebäuden ebenso zuwider, wie sie auf die konzentrisch gewachsene Struktur der Metropole keine Rücksicht nimmt und der Innenlage wie den Außenbereichen keine Prioritäten einräumt.
            Auf andere Weise und bereits im Jahrzehnt davor hat die 1924 in Wien geborene Elfriede Mejchar sich den gewohnten Sichtweisen widersetzt. Von 1967 an besucht sie neben ihrer Beschäftigung als Fotografin beim Bundesdenkmalamt regelmäßig die Gegenden am östlichen und südlichen Stadtrand, um sie fotografisch zu erfassen. Auf dem Land aufgewachsen und in einem Außenbezirk lebend, interessieren sie die Grenzregionen. Sie beobachtet also wie jemand, der von außerhalb in die Stadt kommt und neugierig ist, wie sich diese an ihren Enden darstellt: dort, wo zwischen alten Fabriken Brachland liegt, wo Abfälle lagern und Häuser verlassen worden sind, neue Wohnblöcke entstehen, Schotterstraßen im Nirgendwo enden. Ihr geht es nicht um den bedauernden Blick zurück – beispielsweise auf den Verfall einer industriellen Moderne aus der Zeit um 1900 – und auch nicht um einen pessimistischen Ausblick in die Zukunft – auf die Verdrängung von Grünflächen durch Plattenbauten, von kleinen Geschäften durch Supermärkte. Ihr Anliegen ist die präzise Beschreibung eines aktuellen Zustandes, sie wolle – wie in einem Text von 1989 bemerkt – ausschließlich feststellen: „So ist es“.

 

Elfriede Mejchar: aus der Serie „Simmeringer Heide, Erdberger Mais“, 1967–76 Elfriede Mejchar: aus der Serie „Simmeringer Heide, Erdberger Mais“, 1967–76
Elfriede Mejchar: aus der Serie „Simmeringer Heide, Erdberger Mais“, 1967–76, Baryt, 30 x 30 cm (S. 14) Elfriede Mejchar: aus der Serie „Simmeringer Heide, Erdberger Mais“, 1967–76, Baryt, 30 x 30 cm (S. 20)

 

            Als ihre Ansichten erstmals 1976 im Museum des 20. Jahrhunderts gezeigt werden, überwiegen die Stimmen, die vorwiegend Trostlosigkeit und Schmutz in den Bildern erkennen und wenig Verständnis für Thema wie Darstellung aufbringen. Daran erinnert sich die Fotografin in einem Interview, das im vorliegenden Begleitband zur Ausstellung wiedergegeben ist. Veranstaltung wie Publikation sind mit dem verwendeten Bildmaterial und ihrem Erscheinungsdatum selbst markante Hinweise auf die späte Anerkennung, die den Arbeiten Mejchars über die Ränder Wiens entgegen gebracht wird. 1993 hat das Wien Museum erstmals Werke aus dem ersten Zyklus, der zwischen 1967 und 1973 entstanden ist, erworben – man könnte sagen: Sie mussten erst als historische gelten, damit sie wahrgenommen wurden und in die Fotosammlung der führenden städtischen Institution Aufnahme fanden. Um einen repräsentativen Überblick bieten zu können, musste sich nun das Museum von der Fotokünstlerin mehr als die Hälfte der 66 Exponate leihen.
           Lisa Wögenstein, die Kuratorin, hat je eine Auswahl aus sieben Serien, deren jüngste von 2003 stammt, getroffen. Die zumeist schwarzweißen Abzüge sind in Reihen oder Blöcken präsentiert, die aufmerksame und abwechslungsreiche Hängung lässt eine stereotype Sichtung nicht zu. Eine solche gestatten aber auch die Bilder innerhalb einer Serie nicht. Denn die Aufnahmen der verlassenen Werkhallen eines Chemiebetriebes mit zurück gelassenen Werkzeugteilen und anderen übrig gebliebenen Stücken sind nicht als Folge zu lesen, die einem Rundgang gleich käme; auch die Bilder von Hütten, Plakatwänden, Autowracks, Höfen, Großbauten, Abfällen, Wiesen auf der „Simmeringer Heide“ und im „Erdberger Mais“ ergeben kein Panorama einer urbanen Randlandschaft. Vielmehr ist jede Ansicht eine Komposition für sich, die auf keine anderen Bilder verweist. Geeint werden die Aufnahmen durch das Thema, die immer gleiche Perspektive der Fotografin aus Augenhöhe, die Genauigkeit der Aufzeichnung, die Abwesenheit von Menschen. „Ich finde interessant, was übrig bleibt“, bekennt Mejchar, und damit meint sie die Relikte und Zeichen, die Bewohner, Arbeiter, Durchfahrende hinterlassen haben. Diesen Spuren wird nicht nachgegangen, sie werden nicht verbunden oder gegeneinander gesetzt, nicht interpretiert – sie sind einfach vorhanden und werden bildlich zur Kenntnis genommen.

 

Elfriede Mejchar: aus der Serie „Aether ad narcosim. Chemiefabrik“, 1989–91 Elfriede Mejchar: aus der Serie „Wienerberger Ziegelöfen“, 1979–81
Elfriede Mejchar: aus der Serie „Aether ad narcosim. Chemiefabrik“, 1989–91, Baryt, 50 x 40 cm (S. 56) Elfriede Mejchar: aus der Serie „Wienerberger Ziegelöfen“, 1979–81, C-Print, 50 x 50 cm (S. 35)

           

            Manche Szenerie wirkt surreal, weil Reststücke immer diesen Anschein haben: enthoben der Zeit und einer Funktion, getrennt von den Personen, die sich ihrer bedient oder an ihnen erfreut haben. In der Gegenstandswelt sind es periphere Erscheinungen, wie ihre Lage eine entlegene ist. Solche Dinge kennzeichnen im Besonderen die Ausläufer der Stadt, und – je einzeln fotografisch erfasst – ergeben sie das Bild der Peripherie. Diese befindet sich ja ständig im Wandel, und insofern kann nur der Zufall in Gestalt der Momentaufnahme ihr adäquates Bild liefern. Im Aufzeichnen eines urbanen Jetzt, das die Stadt über ihre Ränder charakterisiert, ist Elfriede Mejchar eine Meisterin.

Zitierte Literatur
stadt. Visuelle strukturen , VALIE EXPORT (fotografie, gestaltung), Hermann Hendrich (text, gestaltung), Wien, München: Jugend & Volk, 1973 (Edition Literaturproduzenten)
Elfriede Mejchar, in: Margit Zuckriegl, Österreichische Fotografie seit 1945 aus den Beständen der Österreichischen Fotogalerie im Rahmen der Salzburger Landessammlungen Rupertinum , Salzburg 1989, S. 238.

Die Abbildungen sind Wiedergaben aus dem besprochenen Band.

Oktober 2008

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© Timm Starl 2008

PDF - 505kb

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